News

KUEKA kehrt zurück nach Venezuela

Nach 20 Jahren im Berliner Tiergarten ist der Kueka-Stein zurück in Mapaurí, Venezuela

Im Berliner Tiergarten befindet sich das Global Stone Project, ein sogenanntes „Friedensdenkmal“, welches der Weltumsegler und Abenteurer Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld Ende der 1990er-Jahre dort installierte. Es basiert auf fünf massiven Natursteinen, die – in einen Kreis gelegt, bearbeitet und beschriftet – die fünf Entwicklungsschritte der Menschheit repräsentieren sollen, die auf dem Weg zu „globalem Frieden und Bewußtsein“ notwendig sind. K. v. Schwarzenfeld hat diese Findlinge je einem anderen Kontinent entnommen und nach Berlin gebracht. Ihre symbolische Bedeutung wurde jeweils in sieben Sprachen eingefräst. So verweist der Stein der Liebe auf Amerika, der Stein des Friedens auf Australien, die Hoffnung wird Afrika zugeeignet, das Erwachen Russland und der Stein der Vergebung bezieht sich auf Asien. Zugleich besitzt jeder Stein einen kleinen „Zwillingsstein“, der ebenfalls bearbeitet und beschriftet in dem jeweiligen Herkunftsland verblieben ist. Seit der Einweihung des Denkmals findet jährlich am 21. Juni eine Sonnenwendfeier mit K. v. Schwarzenfeld statt. Entscheidend ist die Reflexion des Sonnenlichts auf der Oberfläche der Findlinge. Denn mittels Lichtstrahlen verbinden sich die Berliner Steine, so das Konzept, mit ihren „Zwillingssteinen“, was als ein globales und zugleich kosmisches Ereignis feierlich begangen wird.

Doch in der Vergangenheit des 35 Tonnen schweren Steins der Liebe spiegelt sich noch eine andere, dunkle Seite des Denkmals. Sie erzählt von seiner Herkunft aus der Gran Sabana im Südosten Venezuelas, wo er seit den 1970er Jahren von den dort ansässigen Pemón aus Mapaurí als besonderer Stein verehrt wird. „Kueka“ ist der Name, den sie ihm gegeben haben. Unter dem Vorwand eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes gelang es K. v. Schwarzenfeld 1998, eine Schenkung des Steins an das deutsche Volk zu erwirken, gegen den Widerstand der Pemón, die zu diesem Zeitpunkt in Venezuela keine Grundrechte besaßen. Damit war der Abtransport „Kuekas“ offiziell besiegelt, seine Reise nach Europa konnte von den Pemón aus Mapaurí zwar um einige Wochen verzögert, aber nicht verhindert werden.

Der kolonialistische Gestus, mit dem K. v. Schwarzenfeld die Entnahme „Kuekas“ rechtfertigt und den viele politische Entscheidungsträger gestützt haben, legt eine Bedeutungsschicht frei, die die Friedensbotschaft in Zweifel zieht, wenn nicht konterkariert. Die Interessen der Pemón zu berücksichtigen war in der Denkmalplanung nicht vorgesehen, sie wurden der “bedeutenden Botschaft” untergeordnet. Und auf den ersten Blick ist dem Stein der Liebe, wie er da friedlich im Tiergarten liegt und Yogagruppen in seine Nähe lockt, auch nichts anzumerken. Scheinbar perfekt fügt er sich in das leicht verständliche, vorgeblich weltoffene „Think Global“-Konzept ein. Nur die Glättung der fünf Findlinge, die Zurichtung ihrer individuellen Form läßt die Unerbittlichkeit erahnen, mit der dieses Werk geschaffen wurde. Und doch: Den Weltfrieden auf kultureller Hierarchisierung aufzubauen, dies womöglich zu müssen, ist als Idee in diesem Denkmal implementiert und Teil der Konstruktion. So liegt es nahe, das Global Stone Project auch als ein Denkmal für kolonialistisches, eurozentristisches Denken zu betrachten.

Nachdem der Stein im Berliner Tiergarten aufgestellt und bearbeitet worden war, war es eine zeitlang ruhiger um das Projekt, aber mit dem neuen Selbstbewusstsein durch die politische und gesellschaftliche Integration der Indigenas seit dem Anfang der 2000er-Jahre, wurde die Geschichte auch in Deutschland in der Presse sichtbar: Die Pémon aus Mapaurí forderten schließlich offiziell 2012 vor dem deutschen Botschaftsgebäude in Caracas die Rückgabe des Steines. Auch international avancierte das Schicksal Kuekas zu einer politischen Angelegenheit, über das auch die New York Times berichtete. Dennoch wollte das Auswärtige Amt nicht die Rückgabe des Steines initiieren, mit dem Hinweis, der Stein sei offiziell eine Schenkung der Venezolanischen Regierung an das deutsche Volk. Auch kleine Anfragen im Bundestag an die Regierung brachten keine Fortschritte. Das Gefühl, erpressbar durch die damalige Chavez-Regierung zu sein, ließ übergeordnete Fragestellungen zu dem kolonialen Gestus der Steinentnahme in den Hintergrund treten.

2013 führte ich Im Auftrag des Goethe-Instituts dazu gemeinsam mit meinen Kollegen Francisco Denis und Edgar Moreno eine Recherche am Ort der Steinentnahme, in der Gran Sabena im Südosten Venezuelas, durch. Wir besuchten das Dorf Mapaurí und führten mehrere Stunden mit den Einwohnern Interviews und recherchierten die Abläufe von 1998. Deutlich zeigte sich die lokale Bedeutung des Steines für das Dorf Mapaurí auf und zeigten, dass die bisherige ethnologische Beurteilung von einem deutschen Wissenschaftler viele konkrete Aspekte der Geschichte um diesen Stein nicht kannten und die Bedeutung des Steines den Dorfbewohner entsprechend abgesprochen wurde.

Direkt nach unserem Besuch in Mapaurí übergaben wir der Stellvertretenden deutschen Botschafterin in Caracas ein Schreiben der Pémon aus Mapaurí, in dem sie ihre Bitte um die Rückführung des Steines bekräftigten. Dennoch konnte sich die Bundesregierung bis 2019 nicht entschließen, „Kueka“ an die Pemón zurückzugeben. Erst eine diplomatische Verwerfung zwischen dem venezolanischen Präsidenten und dem deutschen Botschafter brachte die Idee einer Rückgabe „Kuekas“ wieder ins politische Spiel. Im Januar 2020 wurde sie verwirklicht. Der Stein wurde aus dem Tiergarten Berlin abtransportiert und ist nun nach mehreren Monaten Reise wieder in Mapaurí.